Pastoralbrief zum Weihnachten, 2018

Das rumänische Dorf: die Wurzel unserer Seele

„Verherrlicht ist Gott in der Höhe und auf Erden ist Friede, bei den Menschen seiner Gnade.” (Lukas 2, 14)

Serafim
Rumänischer Orthodoxer Erzbischof von Deutschland, Österreich und Luxemburg und Metropolit von Deutschland, Zentral- und Nordeuropa

Hochwürdige Väter und geliebte Gläubige,

 Nachdem wir uns während der Vorweihnachtlichen Fastenzeit durch Selbstzügelung und Gebet, durch Bekennen unserer Sünden im Sakrament der Beichte und durch die Kommunion an Leib und Blut des Herrn vorbereitet haben, freuen wir uns heute über das Hochfest der Geburt des Herrn. Wir freuen uns, dass Gott der Herr Seinen Sohn in die Welt gesandt hat, unseren Herrn Jesus Christus, Der durch Seine Geburt aus der Jungfrau Maria uns Menschen so nahe wie nur möglich gekommen ist, um uns von der Knechtschaft der Sünde und des Todes zu erlösen, uns Frieden in den Seelen und ein gutes Einverständnis zwischen den Menschen zu geben.

„Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden bei den Menschen Seines Wohlgefallens!” So sangen die Engel in der Heiligen Nacht über der Höhle von Bethlehem, in der das Christuskind geboren wurde. Frieden und Freude in unseren Seelen sind Gaben, die uns nur von Gott zukommen können. Wer Gott in seinem Leben vergisst und nicht nach Seinem Willen lebt, kann weder wahren Frieden noch echte Dankbarkeit in seiner Seele verspüren, trotz aller Vergnügungen und materiellen Güter dieser Welt. Dies deshalb, weil die Vergnügungen und die Güter dieser Welt „vergänglicher als Schatten und täuschender als Träume sind”, wieein Kirchenhymnus besingt. Nur der Frieden und die Freude, die von Gott kommen, bleiben für ewig.

Gerade deshalb setzen wir Christgläubigen unsere Hoffnung nicht auf die Güter dieser Welt, sondern auf Gott, von dem wir das Leben haben und alles bekommen, was wir zum Leben brauchen. Wir können sicher sein, dass Gott sich um das Leben eines jeden Menschen sorgt, und das mehr, als wir uns das vorstellen können, und dass Er alle Dinge für die zum Besten wendet, die Ihn lieben (vgl. Römer 8, 28). Der heilige Apostel Jakobus sichert uns zu, dass „alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe von oben kommt”, von Gott, dem „Vater des Lichts” (Jakobus 1,17). Gott ist auch in unseren Leidenserfahrungen gegenwärtig und wirksam, mehr noch als dann, wenn es uns gut geht. Daher ist das Leben eines wahren Christen ein heiteres Leben voll Mut und Hoffnung, trotz aller Sorgen und Nöte, die jeder Tag für uns bereithält.

 Geliebte Gläubige,

 Die Heilige Synode der Rumänischen Orthodoxen Kirche hat in ihrer Sorge um die Bewahrung und Förderung der Werte des Glaubens das Jahr 2019 zum „Ehrenjahr des rumänischen Dorfes” erklärt. Während dieses ganzen Jahres sind wir aufgerufen, uns an unsere Dörfer zu erinnern – von wo die Mehrheit von uns auch abstammt –, an die Priester und Lehrer, die uns dort erzogen haben, wie auch an all die bedeutenden Menschen, die die Dörfer der Gesellschaft geschenkt haben. Wir sollen uns also der Vergangenheit unserer Dörfer besinnen, aber auch über deren Gegenwart und Zukunft nachdenken. Und natürlich sollen wir auch lernen, alles zu ihrer Rettung zu tun! Wir haben die Pflicht, niemals unsere Wurzeln zu vergessen, sondern nach dem guten Vorbild unserer Vorfahren zu leben.   

 Der selbst in einem Dorf (Lancram bei Alba Iulia/Karlsburg) geborene Philosoph Lucian Blaga schreibt in seinem Gedicht „Die Seele des  Dorfes”, dass „die Ewigkeit im Dorf geboren wurde”. In der Tat ist das Gefühl für die Ewigkeit stärker in der Seele des Bauern verwurzelt, der durch die Pflege des Bodens in Harmonie mit der Natur lebt, als in der Seele eines Stadtbewohners, der der Natur entfremdet ist. Der Mensch, der die  Erde bebaut, fühlt sich Gott näher, gerade weil er in Harmonie mit der Natur lebt und sich immer abhängig von Gott fühlt, von dem er zum Bebauen des Bodens Regen und Wärme zur rechten Zeit erhofft. Jede Arbeit ist von Gott gesegnet, wenn sie im Glauben und vom Gebet begleitet verrichtet wird, doch hängt die Frucht der Arbeit nur von Gott ab. Die Mühe der Arbeit gebührt dem Menschen, aber das Ergebnis der Abeit ist eine Gabe ausschließlich von Gott. Der Apostel Paulus sagt: „Ich habe gepflanzt, Apollos hat begossen; aber Gott hat das Gedeihen gegeben.” (1. Korinther 3, 6) Der Bauer ist sich ganz besonders dessen bewusst, dass die Früchte seiner Arbeit eine Gabe Gottes sind, Dem er dafür unaufhörlich dankt.      

 Das Leben in der Stadt ist künstlicher, weil es der Natur entfremdet ist. Wir, die wir in der Stadt leben, vergessen üblicherweise den Blick zum Himmel; und wir können uns auch nicht jeden Tag neu bewundernd an der Schöpfung Gottes erfreuen, weil wir nur von seelenlosen Mauern umgeben sind. Auch inspiriert uns die Arbeit im Büro oder in der Fabrik nicht unbedingt dahingehend, ein Gespür dafür zu entwickeln, dass wir von Gott abhängig sind in allem, was wir tun. So verschanzt sich der moderne Stadtmensch immer mehr in seinem Haus oder seiner Wohnung und kommuniziert nicht mehr mit seinen Mitmenschen; doch er verschließt sich auch in sich selbst, wird immer vereinsamter und bindungsunfähiger, auch gegenüber Gott, den er leicht vergisst, weil er Ihn in seiner natürlichen Umgebung nicht mehr spürt und wahrnimmt. Daher verspürt der moderne anonyme gesichts- und seelenlose Stadtmensch keine Sehnsucht mehr nach Erlösung wie es ein Mensch verspürt, der die Erde bearbeitet. In dem schon zitierten Gedicht sagt Lucian Blaga weiter: „Im Dorf wird die Sehnsucht nach Erlösung gestillt.” Dies deshalb, weil die reine Seele des Bauern sich ein Leben ohne Gott gar nicht vorstellen kann. Das Leben des Dorfes spielt sich um die Kirche herum ab mit seinem jahrtausendealten Brauchtum und seinen Sitten, die im Laufe der Geschichte unser Wesen verteidigt und aufrechterhalten haben. Wenn wir die Erlösung unserer Seele vergessen, die uns durch die Mittlerschaft der Kirche zukommt, dann sind wir erbärmlicher als alle Menschen! Nur die Kirche kann den Stadtmenschen vor der Vereinsamung und der Entfremdung bewahren und retten.       

 Geliebte Gläubige,

 Der Niedergang des rumänischen Dorflebens mit seinen von ihrem Wesen her schon gläubigen und die Traditionen liebenden Menschen begann mit der Machtergreifung des atheistischen Kommunismus nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Absetzung von König Michael – Ewiges Gedenken! – und die Verwandlung Rumäniens in eine sozialistische Republik waren der Beginn eines tiefen moralischen und spirituellen Niedergangs der gesamten Gesellschaft, von dem auch das rumänische Dorf betroffen war. Die erzwungene Industrialisierung des Landes führte dazu, dass die Dorfbewohner in Massen in die Städte umgesiedelt wurden und zu einem großen Teil ihre besondere Identität als erdverbundene Menschen verloren; die wiederum in den Dörfern verblieben, wurden durch den Verlust ihres Bodens entwurzelt, der in den Besitz der kollektiver Landwirtschaftsgenossenschaften übergingen. Nach der Revolution von 1989 erhoffte ganz Rumänien einen radikalen Wandel zum Guten, was um unserer Sünden willen leider nicht eingetreten ist. Ganz im Gegenteil haben die Armut und die moralische Misere unvorstellbare Ausmaße angenommen aufgrund der Zunahme der Sünden, vor allem wegen der Tötung der ungeborenen Kinder und der totalen Zerstörung der Wirtschaft, was zur Umwandlung des Landes in einen Umschlagplatz für Produkte aus dem Ausland und zu einem Massenexodus der Rumänen ins Ausland geführt hat. Heute ist die Mehrheit der rumänischen Dörfer dabei zu veröden. Aber wir dürfen uns nicht darauf beschränken, diese schmerzhafte Wirklichkeit zu beklagen und nur die Schuld auf andere zu schieben. Schuldig sind wir alle daran, und wir alle müssen die Verantwortung dafür übernehmen, jeder für sich; und wir alle haben uns zu überlegen, was wir tun können um zu versuchen, etwas zu tun für unser rumänisches Dorf und für das Land, in dem wir geboren sind und das auch für unsere Bildung bezahlt hat. Wer nach Hause zurückkehren kann, soll dies in dem festen Wissen darum tun, dass er etwas Gottgefälliges tut. Wer hierzulande Unternehmen hat, möge so viel als möglich auch in Rumänien investieren, trotz aller Beschwernisse, die eine Rückkehr nach Hause oder Investitionen in Rumänien mit sich bringen. Wir wissen alle, dass Gutes nur unter schweren Opfern zu erreichen ist.     

 Wir freuen uns sehr, dass auf Initiative unserer Metropolie und der Rumänischen Botschaft von Berlin Ärzte und Comüputerspezialisten aus Deutschland sich darum bemühen, eine in mehreren Bereichen aktive Stiftung mit Rumänen zu gründen, die sich verbünden wollen, um sich gegenseitig und auch dem Land zu helfen. Wie Sie alle wissen, unterstützen wir auf der Ebene der Metropolie seit fünf Jahren das Projekt namens „Burse pentru copii săraci din Moldova” (Stipendien für arme Kinder aus der Moldau). Dabei werden 500 Kinder aus den Kreisen Vaslui und Botoșani betreut, die monatlich Wertbons in Höhe von 30 Euro erhalten. Diese Hilfe wird aus Spendenmitteln der Pfarreien finanziert, aber auch aus Einzelspenden von Gläubigen, die auf ein eigens zu diesem Zweck eingerichtetes Spendenkonto eingehen. Außerdem verfolgen wir derzeit ein Projekt gemeinsam mit deutschen Spezialisten zum Aufbau einer Abteilung für krebskranke Kinder beim Kreiskrankenhaus Galați (Galatz) an der Donau. Jeder Gläubige hat vor Gott die Verpflichtung, mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zur Rettung unseres Volkes beizutragen. Jeder ins Land überwiesene Cent ist sehr wichtig, jeder Besuch zu Hause bei den Eltern und an den Gräbern der Ahnen trägt auch einen religiösen Zug des Glaubens.

Und weil sich unsere Dörfer gerade in der Volkstracht von Region zu Region unterscheiden, wie auch im jeweiligen Brauchtum zu Weihnachten und Ostern, so ist es  gut, wenn wir in unseren Pfarreien auch die Volkstracht und die verschiedenen Traditionen fördern und pflegen, damit auch unsere Kinder in dieser Atmosphäre aufwachsen. 

 Hochwürdige Väter und geliebte Gläubige,

 Auch wenn unsere Gedanken und unsere Herzen ganz wesentlich dem Dorf oder der Stadt, wo wir geboren sind, und auch den in der Heimat gebliebenen Eltern und Verwandten verbunden bleiben, so integrieren wir uns doch auch, wenn wir außerhalb der Grenzen unseres Landes leben, in die Gesellschaft, in der wir uns zu leben entschlossen haben, und tragen durch unsere ehrliche Arbeit unseren Beitrag zu deren gesellschaftlichen Fortschritt bei. Das Zusammenleben in einer Gesellschaft bedeutet immer einen Austausch der Gaben. Wir geben die besonderen Gaben unseres rumänischen Volkes und des orthodoxen Glaubens weiter und nehmen das Spezifikum des jeweiligen Volkes auf, mit dem wir zusammenleben. Und so strahlen wir in unserer Umgebung die Wärme des orthodoxen Glaubens und die Herzlichkeit der rumänischen Gastfreundschaft aus und empfangen die Gaben unserer Nächsten: Disziplin, Ernsthaftigkeit, den Gemeinschaftsgeist!

Unsere Integration in die Gesellschaft, in der wir leben, bedeutet im Blick auf den Glauben auch den Bau oder den Erwerb von eigenen Kirchen für unsere Pfarreien. Bis dato haben nur sehr wenige der rumänischen Pfarreien und Filialgemeinden, die zu unserem Erzbistum gehören, eigene Kirchen, die unter besonderen Anstrengungen der Hochwürdigen Väter und vieler opferbereiter Gläubiger erbaut oder gekauft wurden. Derzeit wird gebaut am Kloster und dem Kirchenzentrum in München sowie an den Kirchen in Leipzig, Bonn und Düsseldorf. Auch wurde kürzlich mit dem Bau einer weiteren Kirche in Wien begonnen. Für all dies brauchen wir Ihrer aller Unterstützung, und wir bitten Sie von Herzen darum. Denn wer gibt, dem wird gegeben! Wenn wir Gott etwas geben für Sein Haus, wird Gott auch uns selbst etwas geben!    

 Freuen wir uns nun nun über die Feiertage zur Geburt des Herrn, Neujahr und Epiphanias und lassen wir so viele Menschen als möglich an zu unserer Freude teilhaben, hier wie zu Hause in der Heimat!

 Ich lege euch diese Gedanken zu Weihnachten ans Herz, umarme Euch in Christus dem Herrn, dem in Bethlehem Geborenen, und rufe den Segen Gottes auf Euch alle herab.

 Gesegnete Weihnachten und Auf viele Jahre!

 + Serafim

Erzbischof und Metropolit

 

(Übersetzung aus dem Rumänischen: Pfarrer Dr. Jürgen Henkel, Selb-Erkersreuth)