Der Glaube, der Wunder wirkt – Weihnachten 2001

Der Glaube, der Wunder wirkt

„Alles ist möglich dem, der da glaubt“ (Markus 9,23)

Ehrwürdige Väter und geliebte Gläubige,

aus Gottes Gnaden erleben wir ein neuerliches Mal das Hochfest der Geburt Jesu Christi und stehen vor dem Anbruch eines Neuen Jahres. In der vorweihnachtlichen Fastenzeit haben sich viele von uns mit Fasten und gesteigerten Gebetsbemühungen auf diesen großen und hochheiligen Tag vorbereitet. Nun wird die Mühe des Fastens von Gott mit der Freude vergolten, die wir in unserer Seele verspüren. Denn auf unsere Bemühung und unser Gebet hin folgt immer eine Antwort Gottes je nach dem Maß unseres Glaubens und unseres Engagements im Glauben. Wir freuen uns heute also über die Geburt des Herrn, ein geschichtliches Ereignis, das sich nun vor 2000 Jahren in Bethlehem zugetragen hat, das sich jedoch fortwährend durch Glauben in jeder Kirche und in jeder gläubigen Seele neu aktualisiert. Heute singt unsere Kirche: „Christus wird geboren – preiset ihn, Christus aus den Himmeln – gehet ihm voraus, Christus auf Erden – macht euch auf, alles auf Erden singe dem Herrn”. Und genauso: „Die Jungfrau gebärt den, der über allem Sein steht”. Alle Verben dieser Gesänge stehen im Präsens. Gott steht über Zeit und Raum. Bei Ihm existiert keine Vergangenheit und keine Zukunft, sondern nur Gegenwart. „Heute” ist die Zeit Gottes. Deshalb treten wir in die Gegenwart Gottes ein, wenn wir zum Gottesdienst in der Kirche sind, oder zu Hause ins Gebet vertieft, wir finden uns in einem permanenten „Heute” wieder. Wie oft seufzt nicht unsere Seele nach diesem „Heute” Gottes, das unsere Ruhe in „Ihm” bedeutet, die wir oft müde sind, von zu vielen Sorgen und Mühen des Lebens.

Meine geliebten geistlichen Kinder,

ich habe diese Weihnachtspastorale „Der Glaube, der Wunder wirkt” überschrieben, um Euch in Eurem Glauben zu ermutigen und in den Leidenserfahrungen und Versuchungen des Lebens zu stärken, die immer durch Glauben und durch Geduld überwunden werden können. Der Erlöser verheißt uns in diesem Sinne, „dass alles möglich ist dem, der da glaubt” (Markus 9, 23) und dass „ihr in Eurer Geduld Euer Leben gewinnen werdet” (Lukas 21,19). Er sagt uns außerdem, dass der Glaube in der Lage ist, Berge zu versetzen (vgl. Matthäus 17,20), d.h. jegliche Schwierigkeit zu bewältigen, sei sie auch noch so groß. Daher fragte der Erlöser die Menschen, bevor er sie heilte: „Glaubst du, dass ich dies tun kann?” Um nach dem Vollbringen des Wunders zu ihnen zu sagen: „Dein Glaube hat dich gerettet, geh hin in Frieden!”. 

Aber von welchem Glauben ist hier die Rede? Sicher nicht von einem vagen oder rein intellektuellen Glauben in die Existenz Gottes, den im Grunde fast alle Menschen in sich tragen. Sondern vom Glauben in die unbegrenzte Macht Gottes, Wunder zu tun. Nur unser Kleinglaube setzt der unbegrenzten Macht Gottes Grenzen. Denn der Kleinglaube oder der zweifelnde Glaube behindert das wundervolle Werk Gottes im Leben des Menschen. Der Erlöser sagt uns: „Alles, was ihr bittet in eurem Gebet, glaubt nur, dass ihr’s empfangt, so wird’s euch zuteilwerden.” (Markus 11,24) Und ebenso: „Wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, so könnt ihr sagen zu diesem Berge: Heb dich dorthin!, so wird er sich heben; und euch wird nichts unmöglich sein.” (Matthäus 17,20) Wahrhaftig: Groß ist die Kraft des Glaubens!

Doch wie kommen wir zu dem Glauben, der Wunder tut? Vor allem anderen, indem wir wie die Apostel zu Gott dem Herrn beten: „Herr, stärke unseren Glauben.” (Lukas 17,5) Und das, bis der Glaube in uns zu einer Gewissheit wird, eine innere Evidenz. Und zusammen mit dem Gebet sind das Fasten, die regelmäßige Teilnahme an der Göttlichen Liturgie, die Beichte und die häufige Kommunion an den Heiligen Sakramenten Christi, die Lektüre der Heiligen Schrift und die Seele erbauender Schriften absolut notwendige Mittel zur Vertiefung und Stärkung des Glaubens. Gewiß haben wir bis zur Glaubensgewissheit, bis zum Glauben, der Wunder wirkt, viel Geduld nötig. Denn der Weg des Glaubens, der im Grunde der Weg unseres alltäglichen Lebens ist, ist gepflastert mit unzähligen Versuchungen und Prüfungen, die aber nachgerade notwendig sind zur Selbstvergewisserung des Glaubens oder zu seiner Stärkung. Genauso wie Gold sich im Feuer reinigt, so vergewissert sich der Glaube durch das Erdulden von Anfechtungen, Leidenserfahrungen und Schmerzen aller Art selbst. Der hl. Apostel Jakobus sagt: „Selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet; denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen.” (Jakobus 1,12) Tatsächlich zeigt sich im geistlichen Kampf mit den Leidenserfahrungen des Lebens auch die Kraft des Glaubens, auch wenn dieser nicht vollkommen ist. Wichtig ist, dass wir uns nicht fürchten, wenn wir auf Unglück oder Leiden stoßen, sondern dass wir im Gegenteil uns ermutigen und Gott mit noch größerer Kraft anrufen, ein noch strengeres Fasten beginnen und um Hilfe in die Kirche gehen… Und vor allem von ganzer Kraft an den Sieg des Guten glauben. Wir sollen nicht einen Moment lang am Beistand Gottes zweifeln, der uns nach dem Maß unseres Glaubens an Ihn und unserer Bemühung auf dem Weg der Reinigung von den Sünden zu kommt. Denn die Leidenserfahrungen unseres Lebens sind in den meisten Fällen Folgen aus unseren Sünden. Wenn wir folglich auf Unglück stoßen, dann sollen wir uns ernsthaft der Frage nach unserer Sünde stellen. Wir sollen unser Gewissen prüfen, uns einen geschickten Geistlichen suchen, bei dem wir beichten und auf dessen Rat wir hören sollen. Wir sollen nicht an Verwünschungen und Zaubereien glauben. Das hat, wenn es überhaupt existiert, nur Macht über einen wenig gläubigen und ängstlichen Menschen. Der Glaube an den Verwünschungen lässt den Teufel sich in unsere Seele einschleichen, um den wahren Grund unseres Leidens zu vertuschen, der unsere Sünde ist und nicht die eines Anderen. Aber selbst sehr gläubige Menschen sind nicht frei von Versuchungen und Beschwernissen. Diese leiden nicht so sehr aufgrund ihrer eigenen Sünden, sondern aufgrund der Fügung Gottes, die sie so zur Vollendung und Heiligung führt. Denn „wir müssen durch viele Bedrängnisse in das Reich Gottes eingehen” (Apostelgeschichte 14,22). Und der hl. Apostel Paulus sagt: „Denn euch (den Gläubigen) ist es gegeben um Christi willen, nicht allein an ihn zu glauben, sondern auch um seinetwillen zu leiden” (Brief an die Philipper 1, 29). Der Erlöser selbst baut vor, wenn er sagt: „In der Welt werdet ihr von allen Seiten bedrängt; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.” (Johannes 16, 33)

Meine geliebten geistlichen Kinder,

Es existiert ein Wagemut im Guten, wie auch ein Wagemut im Bösen existiert, von dem wir uns fernhalten müssen. Wagemutig zu sein bedeutet, nicht den Mut und den Glauben an den Sieg des Guten zu verlieren, wenn wir in Bedrängnis sind, so schwer diese auch auf uns liegen möge. Wer wagemutig ist, der wird überwinden, mit der Hilfe Gottes.

So wagemutig waren auch wir, als wir uns zum Kauf einer Kirche und eines Sitzes für unsere Metropolie entschlossen haben, und siehe:durch die Opferbereitschaft vieler hat uns Gott das gegeben, was wir mutig angepackt haben. Heute haben auch wir Rumänen einen Bischofssitz in Nürnberg, der in allem den Bischofssitzen der anderen orthodoxen Jurisdiktionen in Deutschland gleichwertig ist. Mehr noch: wir haben in diesem geistlichen Zentrum ein Kloster, das unter dem Patronat der Brâncoveanu-Märtyrer steht: des Wojewoden Constantin und seiner vier Söhne: Constantin, Stefan, Radu und Matei, die am 15. August 1714 in Konstantinopel den Märtyrertod starben. Täglich feiern wir hier die den Klöstern üblichen Gottesdienste und beten für die Belange aller. Ebenfalls an unserem Bischofssitz haben wir eine Schule für Ikonenmalerei eröffnet, an dem einige Rumänen und Deutsche von einer Nonne die Kunst der Ikonenmalerei erlernen. Nach Vollendung der Restaurationsarbeiten an dem gesamten Gebäudekomplex werden wir regelmäßig Gruppen von Kindern, Jugendlichen oder anderen Gläubige aus der Metropolie zur geistlichen Erbauung und zur Teilnahme an unserem Gebets- und Arbeitsleben in unseren Bischofssitz einladen.

Mit demselben heiligen Wagemut zur Erlangung eigener Kirchengebäude sind die Gemeinden von Wien (wo im vergangenen September Grundsteinlegung für eine neue Kirche war), von München, Offenbach am Main, Berlin, Köln, Mannheim, Würzburg, Salzburg, Stockholm usw. aufgebrochen. Gleichzeitig wird die Kirche in Malmö (Schweden), die vor einigen Jahren schon gekauft wurde, im Moment ausgemalt. Die Kirche von Salzgitter ist dabei, vergrößert zu werden. Hoffen wir, dass durch die Opferbereitschaft der Gläubigen alle diese Gemeinden und andere dazu in nicht allzu ferner Zukunft ihre eigenen Kirchen haben werden.

Für all das loben wir den Gütigen Gott und danken den Gläubigen, die uns bis jetzt unterstützt haben und uns auch künftig unterstützen zur Vollendung dessen, was wir engagiert begonnen haben.

Indem wir den Segen und die Hilfe Gottes, Der heute als Mensch aus dem Heiligen Geist und der Jungfrau Maria geboren wurde, für alle Priester und Gläubigen unserer Metropolie erbitten, umarme ich Euch alle mit väterlicher Liebe und richte an Euch alle den traditionellen Weihnachtsgruß:

Frohe Weihnachten und Ein gesegnetes Neues Jahr!

Euer wohlwollender und stets für Euch zum Herrn betender

† S E R A F I M

Erzbischof und Metropolit

(Übersetzung: Jürgen Henkel)