Die Nachfolge Christi – Ostern 2003

Die Nachfolge Christi

 „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.“

(Matthäus 11,28)

Hochehrwürdige Väter und liebe Christen,

Christus ist auferstanden!

Unter den gnädigen Augen Gottes sind wir ein neuerliches Mal beim größten christlichen Hochfest angelangt: Ostern, der Auferstehung des Herrn, das wir Orthodoxen in diesem Jahr eine Woche nach unseren katholischen und evangelischen Brüdern und Schwestern feiern. Die Tatsache, daß die Christen noch nicht so weit sind, Ostern am selben Tag zu feiern, obwohl die Auferstehung Jesu von allen als das grundlegende Ereignis des christlichen Glaubens geglaubt wird, ist das Zeichen einer großen menschlichen Schwäche und gleichzeitig ein Widerspruch und Anstoß für die Ungläubigen sowie die Glaubensschwachen, die sich durch das Fehlen der Einheit der Christen vor den Kopf gestoßen fühlen. Deshalb wollen wir unablässig darum beten, daß Gott den Wunsch nach Einheit in die Seelen aller Christen pflanzen möge. Denn nur wenn alle die Einheit wünschen und dafür beten, wird uns Gott in einer Kirche zusammenführen. 

Um uns heute an der Auferstehung des Herrn freuen zu können, haben wir uns alle nach Kräften in der Fastenzeit durch Fasten und gesteigertes Gebet darauf vorbereitet, wie auch durch das Bekenntnis unserer Sünden im Sakrament der Heiligen Beichte. Die Freude heute richtet sich nach dem Maß unserer Anstrengungen und Selbstdisziplin in der Fastenzeit. Diejenigen, die „ihr Fleisch samt den Leidenschaften und Begierden gekreuzigt haben“ (vgl. Galater 5,24) durch freiwilligen Verzicht auf bestimmte Speisen und Getränke und anhaltend­intensives Gebetsleben nach dem Beispiel des Herrn im Garten Gethsemane, die sich darum bemüht haben, Gutes zu tun und ihren Nächsten in Nöten zur Hilfe zu kommen, die erhalten nun den Lohn für ihre Bemühungen, nämlich den Seelenfrieden und die Freude, die größer ist als alle menschliche Vernunft (vgl. Philipper 4,7), weil sie von Gott kommen. Diejenigen, die keine Anstrengung zur Vorbereitung auf den heutigen Festtag unternommen haben, werden sich nur auf oberflächliche und vergängliche Weise darüber freuen.

Im geistlichen Leben gilt die Regel, daß die Freude immer auf eine Anstrengung zur inneren Läuterung, zur Reinigung von den Sünden infolge des Tuns des Guten folgt… Diese große Wahrheit wird in zahlreichen kirchlichen Texten und Gesängen ausgesprochen. Jeden Sonntag wird im Morgengebet gesungen:

„Die Auferstehung Christi im Blick sollen wir unsere Knie beugen vor dem Heiligen Herrn Jesus, der Allein ohne Sünde war. Vor Deinem Kreuz beugen wir uns, Christus, und Deine Heilige Auferstehung loben und preisen wir. Denn Du bist unser Gott, außer Dir kennen wir keinen, Deinen Namen rufen wir an. Kommt alle Christen, daß wir uns vor der heiligen Auferstehung beugen, denn siehe – durch das Kreuz ist die Freude in alle Welt gekommen. In immerwährendem Gotteslob preisen wir Seine Auferstehung, denn Der für uns am Kreuz litt, hat den Tod durch den Tod besiegt.“

„Siehe –durch das Kreuz ist die Freude in alle Welt gekommen!“ Das Kreuz, also das Leiden, die Geduld, Unglücksfälle, die Bemühung, so viel wie möglich für unsere Nächsten zu tun sind Quellen der Freude. Gott der Herr hat die Welt erlöst, indem Er Selbst Mensch wurde und die Sünden der Menschen auf Sich nahm mit allen Konsequenzen der Sünde, also mit Krankheiten und Leidenserfahrungen jeder Art, einschließlich des Todes. So hat Er Sich in allem unter das Gesetz des Alten Testaments gestellt, das der Glaube Seiner Vorfahren war, er besuchte die Synagogen regelmäßig und den Tempel in Jerusalem, er fastete und betete ohne Unterlaß (vor allem nachts in der Einsamkeit). Er hat die Menschen die Wahrheit gelehrt, die sie befreit, und er hat sie von seelischen und körperlichen Krankheiten geheilt. Er hat Dämonen ausgetrieben und Tote auferweckt. Für all das wurde Ihm statt mit Liebe mit Haß gedankt. Er wurde geschlagen und verhöhnt, angeklagt und verurteilt und danach gekreuzigt. Der Kreuzestod des Erlösers trägt die Zeichen der größten Niederlage, die selbst die Apostel vor den Kopf stieß. Doch siehe – jener Sieg ließ nicht lange auf sich warten, der gerade aus dem Grab kommen sollte, also von dort, wo nichts mehr zu erwarten ist. Denn Christus ist auferstanden, indem er alles besiegte, was mit dem Tod zusammenhängt: den Teufel, die Sünde, das Böse, den Haß und das Leiden. All das wurde in Christus zerstört und in denen, die in Christus sind.

Meine geliebten geistlichen Kinder,

Das christliche Leben besteht in der Nachfolge Christi. Christlich zu leben bedeutet, in allen Lebensumständen Christus zu folgen. Der heilige Nikolaos Kabasilas, ein Laienchrist aus Konstantinopel aus dem 14. Jahrhundert, sagt, daß die Christusnachfolge bedeutet, daß jeder Christ in seinem eigenen Leben alle Etappen des Lebens des Erlösers neu erleben solle, von der Geburt bis zum Tod am Kreuz. Es gelte danach zu streben, sich immer mehr mit Ihm zu identifizieren. Als Kinder sollen wir Christus nachfolgen als Dem, Der seinen Eltern untergeordnet und gehorsam war; als Jugendliche sollen wir Christus immer vor Augen haben in Seiner jugendlichen Unschuld und Seinem Drang, den Menschen zu dienen, als er die Menschen den Weg Gottes lehrte und ihnen in ihren Nöten half; als Alte sollen wir Christus nachfolgen in Seiner Güte und Demut, in Seiner großen Geduld und Seinem großen Verständnis für die menschliche Schwäche. In allen Phasen unseres Lebens finden wir im Erlöser Christus nicht nur das größte Vorbild zur Nachfolge, sondern auch die innere Kraft, um Ihm nachzufolgen und um durch Glaube und Gebet alle Leidenserfahrungen und Versuchungen, denen wir im Leben begegnen, zu überstehen. Denn wenn wir mit Christus vereint sind, können wir nur siegen!

Gewiß ist die Nachfolge Christi nicht leicht. Vor allem zu Beginn, bis wir zu einer echten Vertrautheit mit Christus kommen, wenn der Glaube uns nicht mehr nur mental anspricht, sondern im Herzen bewegt. Dann werden wir alles in Liebe und Freude tun und nichts wird uns mehr schwierig oder unmöglich erscheinen.

Leider sind heute viele Christen nur noch dem Namen nach Christen, ohne jede geistliche Erfahrung. Für jene haben die Kirche und ihre Liturgie, das Gebet, das Fasten und andere Formen der Frömmigkeit keine Bedeutung mehr. Genauso gibt es Christen, die mehr abergläubisch als gläubig sind. Sie glauben mehr an die Macht des Bösen, an Verwünschungen und Magien als an die Kraft Gottes. Alles Schlechte, was ihnen passiert, führen sie auf Magie und Verfluchungen zurück, statt die Verantwortung für ihre eigenen Sünden zu übernehmen. Es ist die Versuchung, die so alt ist wie die Menschheit selbst, die Schuld auf andere zu werfen, ob auf den Feind oder den Teufel. Es sind nur sehr wenige, die einen erleuchteten Glauben haben und Christus in allen Lebenslagen nachfolgen, ohne an ihrem Glauben zu zweifeln oder mutlos zu werden, unabhängig davon, durch welche Schwierigkeiten sie zu gehen haben. Das Leben des Erlösers war kein leichtes oder bequemes Leben. Er hat allen Anfeindungen der Menschen tapfer standgehalten und ist auch nicht vom Kreuz herabgestiegen, wie seine Schächer von ihm verlangten: „Wenn du Gottes Sohn bist, steig’ herab vom Kreuz!“ (Matthäus 27,40). Er hat uns gewarnt mit den Worten: „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, Ich habe die Welt überwunden!“ (Johannes 16,33). Denn als Christen sollen wir nicht nach einem bequemen Leben trachten und uns auch nicht vor Schwierigkeiten, Versuchungen und Leidenserfahrungen fürchten, die über uns kommen. Sondern all dem sollen wir mit dem Mut standhalten, der aus dem Glauben und dem Gebet kommt, wie auch aus unserer Verbindung mit der Kirche, also den Mitchristen, mit denen wir eine große Familie bilden. Wandeln wir auf den Spuren Christi und rufen wir immer Ihn zu Hilfe, denn in Ihm finden wir Frieden und Ruhe für unsere Seelen. „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.“ (Matthäus 11,28)

Meine geliebten geistlichen Kinder,

Bald werden wir die Freude haben, ein großes Ereignis in der Geschichte unserer Metropolie mitzuerleben, und zwar die Bischofsweihe von Vater Archimandrit Sofian Pătrunjel vom Brâncoveanu-Kloster Sâmbăta de Sus (Kreis Braşov / Kronstadt), der von unserer Metropolitanversammlung zum Weihbischof unserer Metropolie gewählt wurde. Die Göttliche Liturgie mit der Bischofsweihe wird in unserer Kathedrale am Mittwoch, 11. Mai, um 9.00 Uhr beginnen und von einer Gemeinschaft von Hierarchen mit Seiner Seligkeit Patriarch Teoctist an der Spitze gefeiert werden. Es werden konzelebrieren: S. E. Daniel, Metropolit der Moldau und der Bukowina, S. E. Teofan, Metropolit Olteniens, S. E. Andrei, Erzbischof von Alba Iulia, S. E. Natanael, Rumänischer Erzbischof von Amerika und Kanada, S. E. Iosif, Rumänischer Metropolit Westeuropas und der Mittelmeerländer, S. E. Gherasim, Bischof von Râmnic, S. E. Serafim, Metropolit von Deutschland, Zentral- und Nordeuropa, S. E. Augustinos, Metropolit von Deutschland und Exarch des Ökumenischen Patriarchats für Zentraleuropa, S. E. Feofan, Erzbischof der Russischen Kirche in Deutschland, S. E. Constantin, Bischof der Serbischen Kirche in Deutschland, S. E. Simion, Metropolit der Bulgarischen Kirche in Deutschland, S. E. Christoph von Prag sowie andere orthodoxe Hierarchen und alle Priester unserer Metropolie. Außerdem werden auch Vertreter der Katholischen und der Evangelischen Kirche sowie der Politik und lokaler Behörden als Mitbeter anwesend sein.

Der Besuch von Patriarch Teoctist in Deutschland, der in Nürnberg, München, Regensburg und Berlin stattfinden wird, wird einen ausgesprochen ökumenischen Charakter haben. Wir laden Euch alle ein, an der Feier am 11. Mai teilzunehmen, den Segen des Patriarchen unserer Kirche zu empfangen und sich mit uns über das zu freuen, was wir hier in Nürnberg mit der gnädigen Hilfe Gottes zum Wohle aller Menschen erreicht haben.

Ebenso legen wir Euch allen nahe, am Ökumenischen Kirchentag in Berlin vom 29. Mai bis 1. Juni 2003 teilzunehmen, der unter dem biblischen Motto steht: „Ihr sollt ein Segen sein!“ Wir Christen sind wahrhaftig dazu berufen, ein Segen für unsere Nächsten zu sein, die unserer bedürfen, und für die ganze Welt. Denn im Innersten der christlichen Botschaft stehen gerade die Auferstehung, die Liebe, die stärker ist als der Tod, der Sieg, der Friede und die Freude, Werte, nach denen jede menschliche Seele trachtet. Seien wir Menschen der Auferstehung, der Liebe, des Friedens und der Freude, die wir unseren Nächsten weitergeben sollen.

Der gnädige Gott möge Euch alle segnen sowie Gesundheit und all das, was Leib und Seele dienlich ist, schenken.

Christus ist auferstanden! und Ein gesegnetes Osterfest!

Mit besten Wünschen verbleibe ich als Euer stets für Euch zu Gott betender

+ SERAFIM

Erzbischof und Metropolit