Wider die Zerrbilder – eine Verteidigung der Rumänischen Orthodoxen Kirche

 In einem NZZ-Gastkommentar wurde Rumäniens orthodoxer Kirche vorgeworfen, sowohl unter den Faschisten als auch unter den Kommunisten «eine Dienerin der Macht» gewesen zu sein. Der folgende Beitrag wehrt sich gegen diese These.

Quelle: Art. von Jürgen Henkel, Neue Zürcher Zeitung/NZZ, 21. August 2018 (www.nzz.ch/meinung/wider-die-zerrbilder-eine-verteidigung-der-rumaenischen-orthodoxen-kirche-ld.1411942)

«Sine ira et studio», so lautet seit dem römischen Historiker Tacitus die Maxime für historisches Arbeiten. Für den Wiener Historiker Oliver Jens Schmitt scheint dieses Gebot der Zunft zur Objektivität nicht zu gelten, wenn er über die Rumänische Orthodoxe Kirche (ROK) schreibt.

Wer sich mit der ROK beschäftigt, begegnet der einzigen orthodoxen Kirche mit lateinischer Sprache, die sich schon immer als Brücke zwischen Ost- und Westkirche verstanden hat. Die ROK ist führend in der ökumenischen Bewegung engagiert, gehört dem Weltkirchenrat (ÖRK) und der Konferenz der Europäischen Kirchen (KEK) an. 1999 besuchte Papst Johannes Paul II. auf Einladung der ROK Rumänien als erstes orthodoxes Land. 2007 fand – ebenfalls auf Initiative der ROK – die Dritte Europäische Ökumenische Versammlung (EÖV 3) in Rumänien statt. Dort nicht etwa in den berühmten orthodoxen Moldauklöstern, sondern in Hermannstadt, der Hochburg des Luthertums und der Siebenbürger Sachsen.

Schachzug der Securitate

Die Entscheidung für den Papstbesuch und den Austragungsort der EÖV 3 hat der frühere Patriarch Teoctist (1986–2007) in seiner Bischofskonferenz durchgesetzt. Von ihm werden im Westen beispiellose Zerrbilder gezeichnet. Seine «Loyalitätsadresse» an Ceausescu geistert bis heute durch die publizistische Landschaft.

Dies war ein genialer Schachzug der Securitate. Nach dem Parteitag vom November 1989 richteten alle Religionsführer ihre standardisierten Telegramme an die Parteiführung. Sein Telegramm wurde zurückgehalten und erst in den heissen Tagen der Revolution im Dezember veröffentlicht. Der Patriarch hat sich dann zurückgezogen, um einem Neuanfang nicht im Wege zu stehen, wurde aber von Kirchenvertretern aus dem In- und Ausland überzeugt, das Amt weiterzuführen, um eine Spaltung der Kirche zu vermeiden. Es folgte eine Blütezeit der Kirche.

Trotz manchen antiwestlichen Stimmen aus dem Mönchtum hat die Kirche nach der Wende stets die Westintegration des Landes unterstützt.

Teoctist amtierte als Metropolit und Patriarch schon in der Phase massivster Unterdrückung. Mit der kommunistischen Machtergreifung ab 1944 setzte eine brutale Verfolgung auch der ROK ein. Bistümer wurden aufgelöst, theologische Zeitschriften verboten, Theologie-Fakultäten und Hunderte Klöster geschlossen, Publikationen zensiert. Lediglich die Fakultäten in Hermannstadt und Bukarest durften – zu kirchlichen Hochschulen degradiert – weiter fungieren. Orthodoxe Bischöfe, Theologen und Laienchristen kamen zu Tausenden in Haft und ums Leben. Sich der Macht andienen sieht anders aus.

Das Institut zur Erforschung des Totalitarismus geht von über 1700 orthodoxen Priestern aus, die bis 1989 in Kerkern und Lagern litten. Viele verloren ihr Leben, wie im «Rumänischen Martyrologium» dokumentiert ist – einer gemeinsamen Initiative orthodoxer, katholischer und protestantischer Theologen, Archivforscher und Historiker. Dieser Band von 2007 dokumentiert auf 800 Seiten Lebensbilder von Priestern, Theologen und Bischöfen, aber auch Laienchristen, die Opfer des Kommunismus wurden.

Diese Quelle scheint Schmitt nicht zu kennen. Mit Radu Preda leitet heute ein anerkannter orthodoxer Theologe das Nationale Institut zur Erforschung der Verbrechen des Kommunismus, die zentrale Einrichtung zur Vergangenheitsbewältigung. Das letzte Jahr widmete die ROK landesweit mit zahlreichen Forschungsprojekten und Konferenzen dem Gedächtnis der Opfer des Kommunismus. Schmitt fällt dazu nicht mehr ein, als antiorthodoxe Kollektivschuldthesen zu verbreiten und damit Tausende Opfer des Kommunismus aus den Reihen dieser Kirche zu verhöhnen.

Unvermeidliche Kompromisse

Der Wiener Historiker ignoriert überhaupt viele Fakten und Quellen. So schmäht er den international renommierten Theologen Dumitru Staniloae als Nationalisten. Dass dieser selbst von 1958 bis 1963 als Regimegegner inhaftiert war, unterschlägt er. Für bare Münze scheint Schmitt die kommunistischen Schauprozesse zu nehmen. Nichts war bequemer für das Regime, als Geistliche per Gerichtsbeschluss zu Faschisten zu deklarieren und so Gegner hinter Gitter zu bringen. Dass sich Philosophen und Politiker, orthodoxe wie auch griechisch-katholische Theologen in der Zwischenkriegszeit und der Zeit des Faschismus einen regelrechten Wettbewerb in nationaler Rhetorik lieferten und die Grenzen zur rechten Legionärsbewegung fliessend waren, mag aus heutiger Sicht kritikwürdig sein, entsprach damals aber dem Zeitgeist. Staniloae hat sich später von seinen früheren nationalistischen Thesen abgewandt.

Kompromisse mussten in kommunistischer Zeit alle Religionsgemeinschaften mit dem Regime eingehen, um ihr religiöses Leben aufrechterhalten zu können. Erhellend ist das Jubelbuch zum 60. Geburtstag des Diktators Ceausescu («Omagiu presedintelui Nicolae Ceausescu») von 1978. Dort sind Lobeshymnen aller Religionsführer zu lesen, von Patriarch Justin über den römisch-katholischen Bischof Márton Aron von Siebenbürgen und die protestantischen ungarischen Bischöfe bis hin zum evangelischen Bischof Albert Klein, Mufti Mehmet Jakub und Chefrabbiner Moses Rosen. In den Akten des Kultusdepartements finden sich zudem fein säuberlich notiert Lobreden katholischer und evangelischer Kirchenvertreter auf Staat und Regime bei Kirchenkonferenzen. Gänzlich unbekannt scheint Schmitt das Schuldbekenntnis der orthodoxen Bischofssynode vom Januar 1990 zu sein, in dem die Bischöfe um Verzeihung dafür bitten, nicht entschiedener Widerstand gegen das Regime geleistet zu haben.

Trotz manchen antiwestlichen Stimmen aus dem Mönchtum hat die Kirche nach der Wende stets die Westintegration des Landes unterstützt. Bei der Konferenz von Snagov im Jahr 2000 hat die ROK mit Vertretern anderer Religionsgemeinschaften in einer gemeinsamen Erklärung den EU-Beitritt des Landes befürwortet. Eingemischt in die Politik hat sich die Kirche durchaus. So warnte im selben Jahr Patriarch Teoctist selbst vor der Wahl des Nationalisten Corneliu Vadim Tudor zum Präsidenten. Dass vereinzelt Dorfpopen 2014 gegen die Wahl von Klaus Iohannis polemisierten, ist höchstens eine Fussnote dieser Wahl. Die Kirchenleitung hat sich davon deutlich distanziert.

Ins Reich der Mythen gehört die Behauptung einer Instrumentalisierung der ROK durch die Russische Orthodoxe Kirche. Die beiden Kirchen liegen in heftigem Clinch wegen Jurisdiktionsansprüchen in der Moldau, wo es eine russische und eine rumänische Metropolie gibt. Offizielle Treffen mit schönen Fotos sind hier nicht mehr als medialer Zierrat. Die ROK profiliert sich dezidiert in Abgrenzung zur russischen orthodoxen Kirche und hat auch federführend mit 25 Bischöfen an der Panorthodoxen Synode von Kreta 2016 teilgenommen, der sich die russische Orthodoxie verweigert hat. Fundamentalistischer Kritik aus den eigenen Reihen an dem Konzil hat die ROK eine deutliche Abfuhr erteilt. Dass die ROK für die traditionelle Familie und gegen die Homo-Ehe eintritt, eint sie indes mit der katholischen Kirche.

Recht auf eine eigene Kathedrale

Schlicht falsch ist Schmitts Darstellung, orthodoxe Patriarchen hätten die Zerschlagung der griechisch-katholischen Kirche betrieben. Die staatlich diktierte Auflösung der Kirche erfolgte 1948, die orthodoxe Kirche war damals selbst nur noch Objekt, nicht mehr Subjekt des Geschehens. Sie bekam nur Kirchen, nicht Güter der Unierten übergeben. Diese kassierte der Staat ein. Staatliche Gelder gibt es in Rumänien im Übrigen für alle Kultusgemeinschaften. Die Zahlen sind nachzulesen in den Jahresberichten des Kultusdepartements.

Die Glaubwürdigkeit der Kirche heute schliesslich an drei Skandalen um homosexuelle Handlungen von Klerikern festzumachen, ist lächerlich. Von diesen Klerikern hat sich die Kirche in Rekordzeit getrennt. Dass die ROK ausserdem eine eigene grosse Kathedrale in der Hauptstadt baut, ist ihr gutes Recht. Was wäre Wien ohne den «Steffl»?

Es gibt manches Kritikwürdige an der Rumänischen Orthodoxen Kirche. Diffamierungen und Kollektivschuldthesen bringen aber keinen Erkenntnisgewinn.

Jürgen Henkel, Dr. Theol., evangelischer Pfarrer in Selb, Bayern, leitete von 2003 bis 2008 die Evangelische Akademie Siebenbürgen. Er ist Herausgeber der Deutsch-Rumänischen Theologischen Bibliothek und Mitbegründer von «Ex fide lux – Deutsch-Rumänisches Institut für Theologie, Wissenschaft, Kultur und Dialog».